Vorgeplänkel
Momentan wird technophil über Stereoskopie im Heimkino diskutiert. Es geht um Kanaltrennung, Farbwiedergabe, ausreichend Helligkeit, Bewegungsdarstellung und verschiedene technische Realisierungsmöglichkeiten. Aus diesem Anlass möchte ich einige viel grundlegendere Zusammenhänge zu Stereoskopie erklären - zu denen ich hier bisher nur selten was lesen konnte.
Dreidimensionale Wahrnehmung
Wir wissen, dass unsere dreidimensionale Wahrnehmung dadurch möglich ist, das unsere beiden Augen Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln sehen. Unser Gehirn baut diese Teilbilder zu einem dreidimensionalen Eindruck zusammen.
Zusätzlich hat unsere Wahrnehmung noch einige Tricks auf Lager, so dass bei auch einäugigen Menschen oder erstklassigen Projektionen ein gewisser Tiefeneindruck entsteht. Zum Beispiel ermittelt das Gehirn aus der Perspektive und Größenverhältnissen die Entfernung. Der Kontrast naher Objekte ist besser als von Objekten in der Ferne, der Rot-Anteil nimmt mit zunehmender Entfernung ab usw. - aus das werten wir unbewusst aus.
Stereoskopie vs. "echtes 3D"
Bei Stereoskopie werden "nur" zwei Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen. Analog zum linken und zum rechten Auge. Verschiedene Verfahren sorgen bei der Wiedergabe dafür, dass jedes Auge das richtige, linke bzw. rechte Bild zugespielt bekommt.
Die aufgezeichnete Information bei Stereoskopie sind also zwei normale, zweidimensionale Aufnahmen. Eine echte, dreidimensionale Information wird nicht aufgezeichnet oder wiedergegeben. Im Gegensatz zu echtem 3D kann man Objekte dadurch nicht von der Seite, von oben, unten oder hinten betrachten.
Es entsteht kein Objekt im Raum, der räumliche Eindruck entsteht erst in unserem Gehirn. Das gilt auch für auto-stereoskopische Verfahren, also Verfahren, für die keine Brille als Decoder nötig ist.
Anders ist das ist zum Beispiel bei Holographie, Laser-Projektion auf rotierende Flächen oder im Druckbereich bei 3D-Druckern. In diesen Fällen entstehen Objekte im Raum, die man auch von der Seite betrachten kann.
Zur Abgrenzung von "echtem 3D" bevorzuge ich daher für Stereoskopie die Abkürzung "S3D" = "Stereospokisches 3D".
Scheinentfernung, Tiefenwirkung: In welcher Entfernung erscheinen und stereoskopisch projizierte Objekte?
Maßgeblich für die scheinbare Entfernung eines Objektes ist der horizontale Versatz des linken und rechten Teilbildes. Das Objekt erscheint an der Stelle, an der sich die Sehachsen des linken und rechten Auges schneiden. Dabei können Objekte vor der Leinwandebene, in der Leinwandebene, hinter der Leinwandebene und am Horizont "im Unendlichen" erscheinen.
Ich will euch und mich selber nun nicht mit Formeln quälen. Diese sind zwar einfach - einige Beispiele sind aber sicher noch verständlicher:
ScheinEntfernung.jpg
Was passiert bei einer Änderung der Leinwandbreite?
Proportional zur Leinwandbreite verändert sich auch der horizontale Versatz des linken und rechten Teilbildes.
ÄnderungLWbreite.jpg
Was passiert bei einer Änderung der Betrachtungsentfernung?
Die Tiefenwahrnehmung hat einen Bezug zur Betrachtungsentfernung (Sitzentfernung von der Leinwand). Reduziert man die Entfernung, dann reduziert sich auch die wahrgenommene Bildtiefe.
Problem dabei: Je näher wir dran sitzen, umso größer erscheint uns die Länge und Breite eines Objektes. Gleichzeitig nimmt aber die Tiefe des Objektes ab. Das heißt, das Raumbild erscheint in der Tiefe gestaucht (oder gestreckt, wenn man die Betrachtungsentfernung erhöht).
Ergebnis: Objekte erscheinen unnatürlich groß oder klein (Gigantismus, Liliputismus) oder verlieren die Räumlichkeit (sehen aus wie Pappkameraden oder Kulissen).
Hier eine Veranschaulichung:
ÄnderungEntfernung.jpg
Warum verzieht sich die Perspektive, wenn man sich seitlich bewegt?
Durch seitliche Bewegung bewegt sich auch der Schnittpunkt der beiden Sehachsen. Wir erinnern uns: Das Objekt erscheint an der Stelle, an der sich die Sehachsen des linken und rechten Auges treffen. Das Objekt wandert entgegengesetzt zur eigenen Bewegungsrichtung - und rückt näher ran.
Auch dazu ein Bildchen:
ÄnderungBlickwinkel.jpg
Randprobleme: Die Schärfe
Was bedeutet das in der Praxis?
Aus der bevorzugten Leinwandbreite und dem bevorzugten Betrachtungsabstand kann man bei der Aufnahme die nötige Basisbreite (horizontaler Versatz der beiden Kameras) ermitteln. Dadurch entsteht in der Projektion ein optimales Raumbild.
Das bedeutet aber auch: Eine Aufnahme mit einer bestimmten Basisbreite liefert nur bei einer definierten Leinwandbreite UND einem definierten Betrachtungsabstand optimale Ergebnisse. Alles andere ist ein Kompromiss.
Das Gemeine dabei: Es ist nicht nur das Verhältnis Leinwandbreite/Betrachtungsabstand relevant. Auch die absoluten Werte sind wichtig. Schuld daran ist der Abstand unserer Augen - der ist eine Konstante (mehr oder weniger...). Für ein Objekt am Horizont muss der horizontale Versatz immer dem Augenabstand entsprechen, egal wie groß die Leinwand ist. Zumindest, wenn man eine ideale räumliche Wiedergabe anstrebt.
Filme, die für die gesamte Wiedergabepalette von PC-Monitoren, große Flatscreens über Heimkinoleinwände bis zu ausgewachsenen Kinoleinwänden gleich guten Raumeindruck liefern, sind mit normaler Stereoskopie nicht machbar.
Warum funktioniert es trotzdem einigermaßen?
Hier scheiden sich Theorie und Praxis, denn unser Gehirn baut sich auch bei suboptimaler Wiedergabe ein einigermaßen brauchbares Raumbild zusammen - auch wenn dieses weit vom Optimum und einem natürlichen Eindruck entfernt ist. Es ist eine Mischung von erstaunlichen Fähigkeiten, aber auch von Unzulänglichkeiten unserer räumlichen Wahrnehmung, dass Stereoskopie unter falschen Wiedergabebedingungen überhaupt genießbar ist.
Einfaches Beispiel & Experiment: Aus der Konvergenzstellung der Augen schließt das Gehirn auf die Entfernung und dadurch auf die wahre Größe von Objekten - auch wenn der Abbildungswinkel auf der Netzhaut etwas anderes sagt.
Halte eine Hand ausgestreckt und schau auf deinen Daumen, Abstand ca. 60cm. Nun führe den Daumen zu den Augen, reduziere den Abstand auf 20cm. Erscheint dir der Daumen nun tatsächlich dreimal so groß - oder nur ein wenig größer? Wenn du bei dem Experiment ein Auge zuhältst, wirst du beim Heranführen des Daumes einen größeren Zuwachs bemerken als zwei-äugig.
Dieses Verkleinern wirkt der Stauchung bei Reduzierung des Betrachtungsabstandes (wie ich sie unter "Was passiert bei einer Änderung der Betrachtungsentfernung?" beschrieben habe) entgegen: Durch den geringeren Abstand konverigeren die Sehachsen stärker, das führt wieder zu einer verkleinerten Wahrnehmung der Größe (Höhe, Breite) des Objektes in Relation zur Tiefe. Die Nebeneffekte (Gigantismus, Liliputismus, Pappkameraden) bleiben.
Weiterer Aspekt: Das Raumbild muss nicht unbedingt "unendlich tief" sein.
Zu Gute kommt auch, dass wir zwar gut Größen (Länge, Breite) schätzen können, aber schlecht sind im Schätzen von Entfernungen.
Aus bei der Einschätzung von Perspektiven sind wir -hier glücklicherweise- sehr schwach. Beispiel: Ohne Referenz, verräterische Details, Kenntnis des Originals oder viel Seherfahrung fällt es uns schwer zu unterscheiden, ob ein Foto mit Weitwinkel oder Tele entstanden ist - und das obwohl die Größenverhältnisse von Vorder- und Hintergrund völlig andere sind.
Da passiert also noch mehr als nur die Frage, wo sich Sehachsen schneiden. Was alles? Keine Ahnung, ich bin nicht Moses
Was könnte man tun, um von den Wiedergabebedingungen unabhängig zu werden?
Meines Erachtens ist es nötig zu jedem Punkt des linken Bildes mit einer schlauen Software den entsprechenden Punkt des rechten Bildes zu finden (und auch die Punkte identifizieren, die wegen der unterschiedlichen Perspektiven nur in einem der Bilder vorkommen).
Aus den beiden Bildern und dem Versatz einander entsprechender Punkte wird dann ein echtes, dreidimensionales Modell gerechnet. Aus diesem Modell wird dann wiederum ein linkes und rechtes Teilbild errechnet - nun aber angepasst an die genauen Wiedergabebedingungen (Leinwandbreite, Abstand).
Keine Ahnung ob ich da phantasiere, ob die Bildinformation der beiden zweidimensionalen Bilder für so eine Rechnerei ausreichend ist (was ist mit verdeckten Bildinhalten, wenn sich z.B. das Verhältnis Leinwandbreite/Abstand ändert?) - und ob das alles in Echtzeit machbar ist
Anwendungen wie CAD und Spiele haben es da leichter: Die Informationen liegen bereits dreidimensional vor. Welche Stereo-Basisbreite während der Laufzeit für das Erstellen der beiden 2D-Teilbilder verwendet wird ändert nichts am Verfahren und der nötigen Rechenleistung.
Andere Variante: Es werden nicht nur zwei Bildkanäle aufgenommen, sondern viele - mit unterschiedlichen Stereo-Basisbreiten. Bei der Wiedergabe wird die Basisbreite gewählt, die am Besten zu den Wiedergabebedingungen passt. Das wäre enorm aufwändig, würde dafür aber mehrkanaligen Lentikular-Displays entgegen kommen.
Alles fauler Zauber? Meine ganz persönliche Meinung
Nein, nicht alles. Nur das, was man uns heute für dem Filmgenuss zuhause als "3D" verkaufen will.
S3D hat seine Berechtigung bei CAD, Simulatoren, Gaming - und als technische Spielerei. Auch für Filme bestimmter Genres im großen Kino, für das diese 3D Filme gemacht werden, finde ich S3D akzeptabel. Das funktioniert alles prima, wenn die (ungefähre) Wiedergabesituation bei der Aufnahme (bzw. beim Errechnen) des Bildes berücksichtigt wurde.
Diese Filme auf Leinwände oder Bildschirme zu bringen, die nur einen Bruchteil der Breite einer Kinoleinwand (für die sie bestimmt sind) haben halte ich für reine Spielerei - und Marketing. Auch die Volksverdummung Stereoskopie als 3D zu bezeichnen ist eine Marketingstory. Stereoskopie erinnert dann doch zu sehr an den View-Master längst vergangener Zeiten. 3D klingt viel moderner.
Das heißt nicht, dass ich keinen Reiz an S3D finde. Ganz im Gegenteil. Als Spielerei jederzeit. Aus dem Grund beschäftigt mich das Thema auch schon seit Jahrzehnten immer wieder mal. Auf Dauer ist mir eine perfekte zweidimensionale Projektion mit ihrer räumlichen Wirkung jedoch lieber als die Stereoskopie-Krücke.
Meine Prognose:
Grundlagen wie ich sie beschrieben habe werden weiter verschwiegen oder ignoriert. Verbesserungen des grundlegenden Verfahrens werden nicht untersucht. Geiler Effekt, Verkauf und Hype gehen vor. Ein neues Hoch wird es geben, wenn autostereoskopische Techniken in guter Qualität bezahlbar sind.
Und vielleicht kommt eines Tages doch "echtes 3D".
Momentan wird technophil über Stereoskopie im Heimkino diskutiert. Es geht um Kanaltrennung, Farbwiedergabe, ausreichend Helligkeit, Bewegungsdarstellung und verschiedene technische Realisierungsmöglichkeiten. Aus diesem Anlass möchte ich einige viel grundlegendere Zusammenhänge zu Stereoskopie erklären - zu denen ich hier bisher nur selten was lesen konnte.
Dreidimensionale Wahrnehmung
Wir wissen, dass unsere dreidimensionale Wahrnehmung dadurch möglich ist, das unsere beiden Augen Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln sehen. Unser Gehirn baut diese Teilbilder zu einem dreidimensionalen Eindruck zusammen.
Zusätzlich hat unsere Wahrnehmung noch einige Tricks auf Lager, so dass bei auch einäugigen Menschen oder erstklassigen Projektionen ein gewisser Tiefeneindruck entsteht. Zum Beispiel ermittelt das Gehirn aus der Perspektive und Größenverhältnissen die Entfernung. Der Kontrast naher Objekte ist besser als von Objekten in der Ferne, der Rot-Anteil nimmt mit zunehmender Entfernung ab usw. - aus das werten wir unbewusst aus.
Stereoskopie vs. "echtes 3D"
Bei Stereoskopie werden "nur" zwei Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen. Analog zum linken und zum rechten Auge. Verschiedene Verfahren sorgen bei der Wiedergabe dafür, dass jedes Auge das richtige, linke bzw. rechte Bild zugespielt bekommt.
Die aufgezeichnete Information bei Stereoskopie sind also zwei normale, zweidimensionale Aufnahmen. Eine echte, dreidimensionale Information wird nicht aufgezeichnet oder wiedergegeben. Im Gegensatz zu echtem 3D kann man Objekte dadurch nicht von der Seite, von oben, unten oder hinten betrachten.
Es entsteht kein Objekt im Raum, der räumliche Eindruck entsteht erst in unserem Gehirn. Das gilt auch für auto-stereoskopische Verfahren, also Verfahren, für die keine Brille als Decoder nötig ist.
Anders ist das ist zum Beispiel bei Holographie, Laser-Projektion auf rotierende Flächen oder im Druckbereich bei 3D-Druckern. In diesen Fällen entstehen Objekte im Raum, die man auch von der Seite betrachten kann.
Zur Abgrenzung von "echtem 3D" bevorzuge ich daher für Stereoskopie die Abkürzung "S3D" = "Stereospokisches 3D".
Scheinentfernung, Tiefenwirkung: In welcher Entfernung erscheinen und stereoskopisch projizierte Objekte?
Maßgeblich für die scheinbare Entfernung eines Objektes ist der horizontale Versatz des linken und rechten Teilbildes. Das Objekt erscheint an der Stelle, an der sich die Sehachsen des linken und rechten Auges schneiden. Dabei können Objekte vor der Leinwandebene, in der Leinwandebene, hinter der Leinwandebene und am Horizont "im Unendlichen" erscheinen.
- Linkes Teilbild ist zum rechten Teilbild auf der LW nach rechts verschoben
--> Das Objekt erscheint vor der Leinwand. - Linkes Teilbild und rechtes Teilbild sind auf der LW nicht horizontal verschoben
--> Das Objekt erscheint in der Leinwandebene - Linkes Teilbild ist zum rechten Teilbild auf der LW nach links verschoben
--> Das Objekt erscheint hinter der Leinwand. - Sonderfall: Linkes Teilbild ist zum rechten Teilbild auf der LW um unseren Augenabstand nach links verschoben
--> Das Objekt erscheint am Horizont - Zu Vermeiden: Linkes Teilbild ist zum rechten Teilbild auf der LW um mehr als unseren Augenabstand nach links verschoben
--> Die Augen werden zum Schielen gezwungen. Kein Genuss, kein Raumbild.
Ich will euch und mich selber nun nicht mit Formeln quälen. Diese sind zwar einfach - einige Beispiele sind aber sicher noch verständlicher:
ScheinEntfernung.jpg
Was passiert bei einer Änderung der Leinwandbreite?
Proportional zur Leinwandbreite verändert sich auch der horizontale Versatz des linken und rechten Teilbildes.
- Bei einer kleineren Leinwand wird der horizontale Versatz geringer, der Tiefeneindruck reduziert sich dadurch.
- Bei einer größeren Leinwand erhöht sich der horizontale Versatz, der Tiefeneindruck ebenfalls.
Problem dabei: Das kann zu divergenten Sehachsen führen, die Augen müssten "nach außen schielen". Eine solche Wiedergabe ist ganz schlecht. Es kommt zum binokularem Wettstreit. Weil der Seheindruck unnatürlich ist, streiten sich linkes und rechtes Teilbild um die Gunst des Gehirns. Man sieht mal die eine, mal die andere Variante. Das Raumbild zerfällt.
ÄnderungLWbreite.jpg
Was passiert bei einer Änderung der Betrachtungsentfernung?
Die Tiefenwahrnehmung hat einen Bezug zur Betrachtungsentfernung (Sitzentfernung von der Leinwand). Reduziert man die Entfernung, dann reduziert sich auch die wahrgenommene Bildtiefe.
Problem dabei: Je näher wir dran sitzen, umso größer erscheint uns die Länge und Breite eines Objektes. Gleichzeitig nimmt aber die Tiefe des Objektes ab. Das heißt, das Raumbild erscheint in der Tiefe gestaucht (oder gestreckt, wenn man die Betrachtungsentfernung erhöht).
Ergebnis: Objekte erscheinen unnatürlich groß oder klein (Gigantismus, Liliputismus) oder verlieren die Räumlichkeit (sehen aus wie Pappkameraden oder Kulissen).
Hier eine Veranschaulichung:
ÄnderungEntfernung.jpg
Warum verzieht sich die Perspektive, wenn man sich seitlich bewegt?
Durch seitliche Bewegung bewegt sich auch der Schnittpunkt der beiden Sehachsen. Wir erinnern uns: Das Objekt erscheint an der Stelle, an der sich die Sehachsen des linken und rechten Auges treffen. Das Objekt wandert entgegengesetzt zur eigenen Bewegungsrichtung - und rückt näher ran.
Auch dazu ein Bildchen:
ÄnderungBlickwinkel.jpg
Randprobleme: Die Schärfe
- Unsere Augen sind immer auf Leinwand scharf gestellt - unabhängig vom Konvergenzwinkel der Sehachsen.
In der Natur fokussieren wir mal auf die Nähe, mal auf die Ferne. Die Fokus-Entfernung hat immer einen Bezug zum Konvergenzwinkel der Sehachsen. Sehachsen parallel = Fokus unendlich / Sehachsen schielen zusammen = Fokus auf Nahaufnahme. Die Kopplung Konvergenzwinkel/Fokus-Entfernung ist bei Stereoskopie ausgehebelt. Wir fokussieren immer auf die Leinwand - auch wenn unser Blick von der Nähe in die Ferne schweift und sich der Konvergenzwinkel dadurch ändert.
- Schärfebereich der Aufnahme ist maßgeblich - und unabhängig davon, wohin wir unseren Blick lenken.
In der Natur ist genau der Bereich scharf, auf den wir fokussieren. Bei einem Stereobild erscheint genau der Bereich scharf, der bei der Aufnahme scharf abgebildet wurde. Bei einer Aufnahme die von vorne bis hinten knackescharf ist, nehmen wir das auch so wahr. Auch wenn unser Blick schweift. Hat die Aufnahme dagegen z.B. einen scharfen Vordergrund und einen verschwommenen Hintergrund, kann unser Blick in die Ferne schweifen wie er will - der Horizont wird nicht scharf.
Was bedeutet das in der Praxis?
Aus der bevorzugten Leinwandbreite und dem bevorzugten Betrachtungsabstand kann man bei der Aufnahme die nötige Basisbreite (horizontaler Versatz der beiden Kameras) ermitteln. Dadurch entsteht in der Projektion ein optimales Raumbild.
Das bedeutet aber auch: Eine Aufnahme mit einer bestimmten Basisbreite liefert nur bei einer definierten Leinwandbreite UND einem definierten Betrachtungsabstand optimale Ergebnisse. Alles andere ist ein Kompromiss.
Das Gemeine dabei: Es ist nicht nur das Verhältnis Leinwandbreite/Betrachtungsabstand relevant. Auch die absoluten Werte sind wichtig. Schuld daran ist der Abstand unserer Augen - der ist eine Konstante (mehr oder weniger...). Für ein Objekt am Horizont muss der horizontale Versatz immer dem Augenabstand entsprechen, egal wie groß die Leinwand ist. Zumindest, wenn man eine ideale räumliche Wiedergabe anstrebt.
Filme, die für die gesamte Wiedergabepalette von PC-Monitoren, große Flatscreens über Heimkinoleinwände bis zu ausgewachsenen Kinoleinwänden gleich guten Raumeindruck liefern, sind mit normaler Stereoskopie nicht machbar.
Warum funktioniert es trotzdem einigermaßen?
Hier scheiden sich Theorie und Praxis, denn unser Gehirn baut sich auch bei suboptimaler Wiedergabe ein einigermaßen brauchbares Raumbild zusammen - auch wenn dieses weit vom Optimum und einem natürlichen Eindruck entfernt ist. Es ist eine Mischung von erstaunlichen Fähigkeiten, aber auch von Unzulänglichkeiten unserer räumlichen Wahrnehmung, dass Stereoskopie unter falschen Wiedergabebedingungen überhaupt genießbar ist.
Einfaches Beispiel & Experiment: Aus der Konvergenzstellung der Augen schließt das Gehirn auf die Entfernung und dadurch auf die wahre Größe von Objekten - auch wenn der Abbildungswinkel auf der Netzhaut etwas anderes sagt.
Halte eine Hand ausgestreckt und schau auf deinen Daumen, Abstand ca. 60cm. Nun führe den Daumen zu den Augen, reduziere den Abstand auf 20cm. Erscheint dir der Daumen nun tatsächlich dreimal so groß - oder nur ein wenig größer? Wenn du bei dem Experiment ein Auge zuhältst, wirst du beim Heranführen des Daumes einen größeren Zuwachs bemerken als zwei-äugig.
Dieses Verkleinern wirkt der Stauchung bei Reduzierung des Betrachtungsabstandes (wie ich sie unter "Was passiert bei einer Änderung der Betrachtungsentfernung?" beschrieben habe) entgegen: Durch den geringeren Abstand konverigeren die Sehachsen stärker, das führt wieder zu einer verkleinerten Wahrnehmung der Größe (Höhe, Breite) des Objektes in Relation zur Tiefe. Die Nebeneffekte (Gigantismus, Liliputismus, Pappkameraden) bleiben.
Weiterer Aspekt: Das Raumbild muss nicht unbedingt "unendlich tief" sein.
- Beispiel dazu: Augenabstand = 60mm. Ein Punkt am Horizont ist auf der 3m HK-Leinwand 60mm horizontal versetzt. Er erscheint wegen der parallelen Sehachsen auch dort, wo er in der Natur ist, am Horizont.
- Gibt man das selbe Material auf einem 100cm breiten Flatscreen wieder, ist der Versatz nur mehr 20mm. Bei einer angenommenen Entfernung vom Flat von 2m schneiden sich die Sehachsen nun 1m hinter der Bildschirmebene. Aus einer ursprünglich "unendlichen" Tiefe ist nun 1m geworden. Der TV wirkt nun wie ein "Kasten" mit 1m Tiefe - alle Punkte am Horizont werden 1m hinter der Bildschirmebene wahrgenommen.
- Beinbruch ist das keiner, denn es erwartet auch niemand, dass er beim Blick in den Fernseher kilometerweit in die Ferne blicken kann (das Wort "Fernseher" bekäme eine ganz neue Bedeutung). Irgendwie sieht die begrenzte Raumtiefe dieses Kastens aber dann doch aus wie die Bühne eines Laientheaters oder eine Puppenküche. Und leider bewirkt die Stauchung, dass auch die Tiefenausdehnung von Objekten im Vordergrund, z.B. Personen, gegen Null geht.
Zu Gute kommt auch, dass wir zwar gut Größen (Länge, Breite) schätzen können, aber schlecht sind im Schätzen von Entfernungen.
Aus bei der Einschätzung von Perspektiven sind wir -hier glücklicherweise- sehr schwach. Beispiel: Ohne Referenz, verräterische Details, Kenntnis des Originals oder viel Seherfahrung fällt es uns schwer zu unterscheiden, ob ein Foto mit Weitwinkel oder Tele entstanden ist - und das obwohl die Größenverhältnisse von Vorder- und Hintergrund völlig andere sind.
Da passiert also noch mehr als nur die Frage, wo sich Sehachsen schneiden. Was alles? Keine Ahnung, ich bin nicht Moses
Was könnte man tun, um von den Wiedergabebedingungen unabhängig zu werden?
Meines Erachtens ist es nötig zu jedem Punkt des linken Bildes mit einer schlauen Software den entsprechenden Punkt des rechten Bildes zu finden (und auch die Punkte identifizieren, die wegen der unterschiedlichen Perspektiven nur in einem der Bilder vorkommen).
Aus den beiden Bildern und dem Versatz einander entsprechender Punkte wird dann ein echtes, dreidimensionales Modell gerechnet. Aus diesem Modell wird dann wiederum ein linkes und rechtes Teilbild errechnet - nun aber angepasst an die genauen Wiedergabebedingungen (Leinwandbreite, Abstand).
Keine Ahnung ob ich da phantasiere, ob die Bildinformation der beiden zweidimensionalen Bilder für so eine Rechnerei ausreichend ist (was ist mit verdeckten Bildinhalten, wenn sich z.B. das Verhältnis Leinwandbreite/Abstand ändert?) - und ob das alles in Echtzeit machbar ist
Anwendungen wie CAD und Spiele haben es da leichter: Die Informationen liegen bereits dreidimensional vor. Welche Stereo-Basisbreite während der Laufzeit für das Erstellen der beiden 2D-Teilbilder verwendet wird ändert nichts am Verfahren und der nötigen Rechenleistung.
Andere Variante: Es werden nicht nur zwei Bildkanäle aufgenommen, sondern viele - mit unterschiedlichen Stereo-Basisbreiten. Bei der Wiedergabe wird die Basisbreite gewählt, die am Besten zu den Wiedergabebedingungen passt. Das wäre enorm aufwändig, würde dafür aber mehrkanaligen Lentikular-Displays entgegen kommen.
Alles fauler Zauber? Meine ganz persönliche Meinung
Nein, nicht alles. Nur das, was man uns heute für dem Filmgenuss zuhause als "3D" verkaufen will.
S3D hat seine Berechtigung bei CAD, Simulatoren, Gaming - und als technische Spielerei. Auch für Filme bestimmter Genres im großen Kino, für das diese 3D Filme gemacht werden, finde ich S3D akzeptabel. Das funktioniert alles prima, wenn die (ungefähre) Wiedergabesituation bei der Aufnahme (bzw. beim Errechnen) des Bildes berücksichtigt wurde.
Diese Filme auf Leinwände oder Bildschirme zu bringen, die nur einen Bruchteil der Breite einer Kinoleinwand (für die sie bestimmt sind) haben halte ich für reine Spielerei - und Marketing. Auch die Volksverdummung Stereoskopie als 3D zu bezeichnen ist eine Marketingstory. Stereoskopie erinnert dann doch zu sehr an den View-Master längst vergangener Zeiten. 3D klingt viel moderner.
Das heißt nicht, dass ich keinen Reiz an S3D finde. Ganz im Gegenteil. Als Spielerei jederzeit. Aus dem Grund beschäftigt mich das Thema auch schon seit Jahrzehnten immer wieder mal. Auf Dauer ist mir eine perfekte zweidimensionale Projektion mit ihrer räumlichen Wirkung jedoch lieber als die Stereoskopie-Krücke.
Meine Prognose:
Grundlagen wie ich sie beschrieben habe werden weiter verschwiegen oder ignoriert. Verbesserungen des grundlegenden Verfahrens werden nicht untersucht. Geiler Effekt, Verkauf und Hype gehen vor. Ein neues Hoch wird es geben, wenn autostereoskopische Techniken in guter Qualität bezahlbar sind.
Und vielleicht kommt eines Tages doch "echtes 3D".
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